Ein neuer Maßstab für Nachhaltigkeit im Sport?
Die Europameisterschaft 2024
Die Relevanz der Nachhaltigkeit im Sport ist unbestritten. Der öffentliche Diskurs beschäftigt sich jedoch häufig mit Theorien und Gedankenspielen. Konkrete Beispiele wie die Großveranstaltungen der letzten Jahre dienen dabei zumeist als negative Bezugsgrößen.
Die olympischen Winterspiele 2022 in China ließen aus der kargen Landschaft des Pekinger Umlands schneebedeckte Skipisten entstehen. Erreicht wurde dies durch Schneekanonen und den dadurch massen-haft produzierten Kunstschnee. Das dafür benötigte Wasser wurde maschinell aus den umliegenden Bergen gezogen, trotz bereits bestehender Wasserknappheit. Geblieben sind Skisprungschanzen und Skipisten, die von Kraftwerken und Industriegebiet umgeben sind.
Die Weltmeisterschaft 2022 in Katar wurde als „erste klimaneutrale WM“ beworben. Mit Blick auf zahlreiche neu errichtete Stadien und Anlagen erschien diese Aussage bereits vor Turnierbeginn gewagt. Der enorme Flugverkehr (darunter das Einfliegen von Fans aus Dubai nur für den Besuch eines Spiels) tat sein übriges. Der CO2-Gesamtaustoß erreichte ein deutlich höheres Niveau als die WM 2018. Experten kritisierten Kom-pensationsinvestitionen, fragwürdige CO2 Berechnungen sowie weitere Tricksereien als „Greenwashing“.
Generell erhält der Beobachter den Eindruck, das Thema Nachhaltigkeit diene Events oftmals als „Presti-gefaktor“. Die Ernsthaftigkeit der nachhaltigen Bemühungen ist dabei häufig nicht transparent nachvoll-ziehbar. Die Europameisterschaft 2024 bietet die Möglichkeit, konkrete Maßnahmen vor der Haustür zu beobachten und anzuwenden. Laut DFB soll das Turnier ein „Vorbild für nachhaltige Veranstaltungen im Sport sowie eine Triebfeder für nachhaltige Entwicklung in Deutschland und Europa werden“. Für Spor-tökonomen ist eine Auseinandersetzung mit der nachhaltigen Ausrichtung der EM relevant, um die daraus resultierenden Ergebnisse zu bewerten und darauf aufbauende Entwicklungen zu gestalten. Gewonnene Erkenntnisse bei Großereignissen können hilfreich sein, den Ablauf und die Gestaltung kleinerer Events zu optimieren. Aus diesem Grund ist die Vorbildwirkung des größten Events in Deutschland seit der WM 2006 umso wichtiger.
Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren werden als „Dimensi-onen der Nachhaltigkeit“ bezeichnet. Ziel ist es laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, „Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Gene-rationen nicht eingeschränkt werden“. Im Folgenden liegt der Fokus auf den Maßnahmen zur ökologischen Nachhaltigkeit der EM 2024.
Das hierfür entwickelte Strategiekonzept legt den Fokus auf die Verringerung der Umweltauswirkungen, etwa im Bereich Abfallwirtschaft. Weiterhin werden Investitionen in Klimafonds getätigt, um Projekte zur Abfederung der unvermeidbaren Investitionen durchzuführen. Zum Erhalt von Fördermitteln, müssen Or-ganisationen verpflichtend einzuhaltende Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. Breite Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen soll durch die Aktivierung Prominenter erreicht werden, die als „Gesichter“ von Kampagnen agieren. Teil dieser Kampagnen sind Lern- und Erlebniswelten in den Innenstädten, die Inte-ressierte über Nachhaltigkeitsthemen aufklären. Wichtig sind zudem die konkreten Maßnahmen rund um die Spielstätten der Europameisterschaft. Im Umlauf des Berliner Olympiastadions wird etwa die Fahrrad-infrastruktur verbessert, um An- und Abreise nachhaltiger zu gestalten. Neben einer flächendeckenden LED Beleuchtung wird außerdem auf den Einsatz effektiver Wärmerückgewinnungsanlagen gesetzt. Klima-schonende Second Life Energiespeicher sollen eine unterbrechungsfreie Stromversorgung gewährleisten. Zur Verpflegung der „Fan Zonen“ Besucher und Volunteers werden regionale Bio-Lebensmittel verwendet.
Die genannte Maßnahmen Palette ist beispielhaft für die Pläne der Host Citys. Deutschlandweit ergibt sich das Problem des öffentlichen Verkehrs. Berechnungen ergaben, dass die Mobilität 60 bis 70 Prozent der durch die EM entstehenden Emissionen ausmachen wird. Die geplanten Maßnahmen sind vielfältig. Die übergreifenden Pläne sehen die Reduzierung des Flugverkehrs und die Verlagerung der Anreise auf Fuß,
Rad und öffentliche Verkehrsmittel vor. Hierfür müssen entsprechende Anreize geschaffen werden und die Besucher dementsprechend sensibilisiert werden.
Für Konkrete Maßnahmen wurde das „Konzept nachhaltige Mobilität Euro 2024“ entwickelt, welches mög-liche Schritte vorschlägt. Dazu gehört die Einrichtung eines Koordinationsteams aller beteiligter Organisa-tionen, um Effizienz, schnelle Abstimmungen und die Eindämmung von Verspätungen und Missverständ-nissen zu gewährleisten. Durch Deals mit Sponsoren (z.B. Automobilherstellern) können nachhaltige Pro-dukte (z.B. Elektroautos) in und um das Event eingebaut werden. Zudem sollen alle Informationen zur Mo-bilität (Abfahrtszeiten usw.) öffentlich kommuniziert werden und einfach abrufbar sein. Den Anreiz zur Nut-zung setzen idealerweise die beteiligten Teams und Offiziellen, indem sie die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und als Vorbilder fungieren. Die regionale Mobilität in den Host Citys soll durch intelligente Ver-kehrssysteme nachhaltiger gestaltet werden. Um Zuschauer von der Anreise mit dem Auto abzuhalten, sind eingeschränkte Parkangebote und erhöhte Parkkosten geplant. Diese Entscheidung könnte bei der breiten Bevölkerung auf Unmut stoßen, was von den Organisatoren zu beachten ist. Nachhaltiges Fahrtraining, die Erhöhung der Beförderungskapazitäten, angebotene Kombitickets und mehr Bushaltestellen am Stadion sollen den öffentlichen Nahverkehr nachhaltiger und attraktiver gestalten. Um die Anreise mit dem Fahrrad zu ermöglichen, werden Ladestationen für E-Bikes und eine große Anzahl an Leihfahrrädern angeboten. Durch die Erhöhung nationaler und internationaler Kapazitäten, in Form von speziellen Ticketangeboten und Nachtzügen, kann ebenfalls die Anreise per Bahn erreicht werden. Die Deutsche Bahn fungiert hierbei als „Mobilitätspartner“ der Europameisterschaft 2024.
Innerhalb des Turniers wurde der Nachhaltigkeitsaspekt integriert, indem 2 von 3 Gruppenspielen in einem regionalen Bereich stattfinden (z.B. München und Stuttgart).
Eine Europameisterschaft bietet im Vergleich zu den anfangs genannten Beispielen der WM oder der Olym-piade eine leichtere nachhaltige Umsetzbarkeit. Die weiten Flugreisen stellen hierbei ein großes Problem da. Zudem benötigt ein Land eine befähigte Infrastruktur zur Durchführung eines solchen Events. In Deutschland sind durch das Bahnnetz und die vorhandene Infrastruktur (Stadien, Bahnhöfe usw.) diese Faktoren erfüllt. Sie sollten jedoch bei der Vergabe solcher Turnier beachtet werden. Dies ist jedoch ein anderes Thema.
Der ökologisch-nachhaltige Erfolg der Heim-Europameisterschaft wird erst nach dem Turnier absehbar sein. Inwiefern die geplanten Maßnahmen greifen, wird jedoch bereits während des Turniers spürbar sein. Viele Fans befürchten volle Züge, Verspätungen und Staus in den Städten. Eine erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen könnte jedoch eine große Strahlkraft über die deutschen Außengrenzen hinaus haben.
In diesem Sinne: Auf ein nachhaltiges Sommermärchen!